Zum Thema: brennende Fabriken in Bangladesh
Parul
Bangladesh
Parul lag am Boden. Der Himmel dunkel, nur ein helles Licht zu sehen. Parul schaute das Licht an.
Manche glauben an Reinkarnation, manche an Schicksal, andere denken einfach, dass das Leben ein ungerechter Scheißdreck ist. Vielleicht ist das so. Es hat niemand etwas anderes versprochen. Warum Parul in Barisal geboren wurde, weiß keiner. Aber sie hatte vom ersten Atemzug an schlechte Karten gezogen. Die Eltern schauten Parul nach ihrer Geburt kurz an. Danach hatten sie sie vergessen. Parul war nur ein Mädchen.
Ein Mädchen kann mit sieben Jahren auf dem Feld und im Haushalt helfen, es kann die Geschwister versorgen, aber spätestens mit dreizehn, vierzehn wird es verheiratet und nützte nichts mehr.
In dem Dorf, in dem Parul aufwuchs, war die Welt noch in Ordnung. Die Eltern arbeiteten auf den Reisfeldern eines Bauern. Die Familie, sieben Kinder, die Eltern des Vaters und Mutter und Vater lebten in einer Hütte, die 20 Quadratmeter groß war. Die Mutter war eine ängstliche Frau, die ihrer Tochter weitergab, was ihr beigebracht wurde: ein Mensch zweiter Klasse zu sein. So war es für Parul normal, dass Frauen nach den Männern aßen, wenn noch etwas übrig war, dass sie härter arbeiteten und keine Rechte hatten, dass Frauen zu Tode geprügelt oder gesteinigt wurden, dass sie aus dem Dorf verstoßen wurden, was den sicheren Tod bedeutete, wenn sie sich den Männern widersetzten. Als Achtjährige hatte Parul gesehen, wie eine Frau zu Tode gesteinigt wurde. Der Imame, der Vorbeter des Ortes, hatte die Frau verurteilt. Sie hatte einen verheirateten Mann verführt. Obwohl die Frau beteuerte, dass der Mann sie vergewaltigt hätte, glaubte ihr keiner. Im Namen Allahs wurde sie gerichtet. Ob Allah davon wusste, ist unklar.
Paruls Kindheit, in der sie nie gespielt hatte, endete an ihrem dreizehnten Geburtstag, da wurde sie mit einem 20 Jahre älteren Mann verheiratet, den sie nie zuvor gesehen hatte. In der Nacht verlor sie in sechs Sekunden ihre Jungfräulichkeit. Am nächsten Tag kam die Flut und vernichtete das ganze Dorf. Nachdem das Wasser etwas zurückgegangen war, war da, wo zuvor die Hütten gestanden hatten, ein träger, breiter Fluss. Die Eltern waren alt. Sie würden vielleicht durchkommen. Doch dazu mussten die Kinder irgendwo Geld auftreiben, und auf dem Land gab es keine Arbeit mehr, weil es das Land nicht mehr gab. Parul ging mit ihrem Mann in die Stadt.
Parul stand sechs Stunden im Zug, zwischen Menschen, Tieren und Bündeln eingeklemmt. Sie roch den Schweiß der anderen, spürte die feuchten Körper der anderen, doch das störte sie nicht. Menschen war sie gewöhnt, denn Bangladesh ist eines der überbevölkertsten Länder der Welt. In den Gesichtern der Reisenden stand eine Mischung aus Angst vor der großen Stadt und Hoffnung. Alle hatten von Dhaka gehört. Von Reichtum und Wundern. Auch Parul träumte, aber sie wusste gar nicht genau, von was. Einen Fernseher hatte sie noch nie gesehen, Reichtum noch nie gesehen, also stellte sie sich einfach nur ein wunderschönes Kleid vor, mit dem sie über eine Wiese lief. Der Mann, den Parul geheiratet hatte, redete während der Fahrt kein Wort mit ihr. Der Mann gefiel Parul nicht, aber Männer waren auch nicht zum Gefallen da. Männer waren da, damit eine Frau leben durfte. Nach einer Ewigkeit kamen sie an. Am Bahnhof brannten Feuer, und viele Menschen schliefen zwischen den Gleisen und an der Straße. Schmutzige Menschen, manche waren nackt. Parul kam aus einem armen Dorf, doch schmutzige, nackte Menschen hatte sie noch nie gesehen. Menschen, die in Müllhaufen nach Nahrung suchten, auf die andere gerade uriniert hatten, hatte sie noch nie gesehen. Es war stickig und heiß, es war laut und widerlich. Parul hatte Angst. Weil es schon dunkel war, und beide nicht wussten wohin, weil sie niemanden kannten und die Stadt bedrohlich wirkte, weil sie kein Geld mehr hatten, legten sich Parul und ihr Mann auch vor den Bahnhof. Parul neben den fremden Mann, der ihrer war, einen Meter entfernt von fremden Menschen, die nicht gut rochen und wirkten, als seien sie schon lange hier. Als Parul einen Platz zum Austreten suchte, lief eine ältere Frau hinter ihr her: Pass auf, sagte sie, du darfst hier nicht alleine herumlaufen. Sie kommen und fangen dich weg. Wer kommt?, fragte Parul. Die Polizei oder welche von den Banden. Sie fangen Frauen vom Bahnhof, junge, wie dich, und dann musst du es für sie tun. Was tun?, fragte Parul. Die andere Frau schüttelte den Kopf über des Mädchen Dummheit, blieb aber neben ihr, bis sie fertig war. Parul war dumm, alle um sie waren dumm. Nicht, dass sie ein kleines Gehirn gehabt hätten, aber es war nie benutzt wurden, das Gehirn. Zum Lernen nicht, zum Denken nicht, dafür waren ja die Männer da. In der Nacht dachte Parul an Allah. Und dass er ihr nicht helfen würde, weil er doch ein Mann war. In dieser Nacht schlief Parul sehr schlecht, doch morgen dachte sie, morgen würde alles besser werden. Am nächsten Morgen ging ihr Mann, um Arbeit zu finden. Parul blieb den ganzen Tag neben ihren Bündeln sitzen. Sie wagte es nicht zu urinieren, sich Wasser zu besorgen. Sie hatte den Blick gesenkt und wartete. Am Abend kehrte ihr Mann, sein Name war Panu, ohne Arbeit zurück. Er konnte weder lesen noch schreiben, und solche wie ihn gab es in Dhaka genug. Millionen lebten in der Hauptstadt auf der Straße oder in Slums. Die Stadt hatte wirklich nicht auf Parul und ihren Mann gewartet. So übernachteten sie sieben Wochen vor dem Bahnhof, Panu war den ganzen Tag unterwegs, Parul saß am Bahnhof und es waren, so schien es ihr, die schrecklichsten Tage ihres Lebens. Als Parul ihren Mann irgendwann fragte, wann sie denn weggingen, schlug er sie das erste Mal. Er schlug sie mit seinen Fäusten ins Gesicht, in den Bauch. Die anderen um sie herum schauten zu und lachten. Parul gewöhnte sich daran zu schweigen. Nach sieben Wochen hatte ihr Mann einen Job gefunden. Für sie. Ziegelsteine klein schlagen zu Split, für den Straßenbau. Sie würde am Tag umgerechnet 50 Cent verdienen und damit könnten sie sich einen Platz in einem Slum leisten. Sie packten ihre Sachen und gingen los. Jetzt wird alles gut, dachte Parul. Gleich um die Ecke des Bahnhofs begann der Slum und schien nicht zu enden. Es war der erste Slum, den Parul sah. So furchtbar hätte sie es sich nicht vorgestellt. Auf einer alten Müllkippe waren Tausende kleiner Hütten aufgebaut. Aus Plastik und Jutesäcken, jede nur etwas größer als eine Hundehütte. Gleich neben den Hütten lag der Unrat. Der schlechte Geruch wie eine zu dicke Decke über dem Slum. Die Menschen, die aussahen wie Wilde oder Geisteskranke, musterten Parul feindlich. Parul begann zu weinen. Ihr Mann gab ihr ein paar Ohrfeigen, packte sie und zerrte sie zwischen den Hütten durch den Müll, durch Abfälle, durch Urin. Nackte, schmutzige Kinder rannten neben ihnen her und warfen mit Steinen. Obwohl Parul Angst vor ihrem Mann hatte, weinte sie. Sie konnte einfach nicht aufhören. Ihr Mann wies auf einen Platz, der zwei Meter lang und anderthalb Meter breit war. Müll lag darauf. Mach das sauber, sagte er und verschwand. Parul schob mit ihren Händen verfaulte Essensreste und Kot zur Seite. Als Panu zurückkam, hatte er einen alten blauen Sack dabei und ein paar Hölzer. Daraus baute er eine Hütte. Von da an lebten sie in dem Slum. Jeden Morgen setzte sich Parul an die Straße auf einen Haufen Steine, die sie zerklopfte, um Baumaterial daraus werden zu lassen. Der Staub in der Lunge, gemischt mit den Abgasen, der Lärm und die Hitze machten, dass Parul abends fast ohnmächtig war, danach musste sie noch für ihren Mann kochen, der nach wie vor in der Stadt nach Arbeit suchte. Manchmal fand er für einen Tag einen Job auf einer Baustelle. Sie aßen Reis. Und an guten Tagen etwas Gemüse dazu. Paruls Bauch wurde dick und sie bekam ihr erstes Kind. Ein Mädchen. Parul entband es in der Hütte. Nie hatte sie solche Schmerzen erlebt. Und nie solche Einsamkeit. Sie freute sich nicht, das schmutzige Kind im Arm zu halten. Es war ihr fremd. Ihr Mann schlug sie, als er in die Hütte kam, weil es nur ein Mädchen war. Am nächsten Tag ging Parul mit dem Säugling auf den Steinhaufen arbeiten. Und mit den Monaten gewöhnte sie sich an dieses Leben, das eigentlich kaum eines war. Täglich prügelten sich die Frauen im Slum, wegen der Kinder, wegen der Ohnmacht, weil sie so wütend waren und doch gar nicht wussten, auf wen. Täglich prügelten die Männer die Frauen, weil sie so wütend waren, weil sie fühlten, dass irgendetwas nicht stimmte mit ihrem Leben. Die Frauen hatten keine Angst vor den Schlägen, sie hatten nur Angst, krank zu werden. Wenn eine Frau sehr krank war und ins Krankenhaus musste, suchte sich der Mann in dieser Zeit oft eine neue Frau. Aber auch ohne das war es schlimm genug, krank zu sein. Denn wer einmal lag, kam selten wieder hoch. Der Körper wurde von Müdigkeit wie gelähmt, es gab keinen Grund wieder aufzustehen für den Körper. Die Frauen in den Slums waren oft krank. Sie versuchten, es sich nicht anmerken zu lassen. Sie lebten im Dreck, im Schlamm, wenn der Monsun kam, schliefen am Boden, sie entzündeten sich den Unterleib, sie bekamen Krätze, Tuberkulose, offene Stellen, sie starben meistens, bevor sie 40 waren. Die Männer lebten länger.
Parul war nicht krank. Ein bisschen vielleicht, denn alles tat ihr weh, der Körper, das Herz, und sie war so traurig. Nur nicht denken, nicht innehalten. Arbeiten, essen, schlafen, nicht still halten, denn dann könnten die Gefühle kommen. Warum, dachte Parul, warum bin ich nur eine Frau. Eine Frau ist ein Hund in Bangladesh. Frauen werden zu Tode geprügelt, mit Säure entstellt, Frauen werden verstoßen, und das ist meistens ihr Todesurteil, denn eine Frau ohne Mann ist nichts mehr wert. Man kann sie entführen, vergewaltigen, töten, egal.
Die Regierung unterstützte die Rechtlosigkeit der Frauen. Die Regierung besteht aus Männern. Doch ganz langsam entstand Widerstand. Taslima Nasreen, eine feministische Schriftstellerin, musste aus Bangladesh fliehen. Doch das wusste Parul nicht, und sie würde es nie erfahren. Woher sollte sie das erfahren? Es kam doch keiner und erzählte es ihr. Parul hatte sich an das Leben gewöhnt. Sie kannte es nicht anders. Wusste nicht, wie es ist, Zeit für sich zu haben, mit jemanden zu reden, sich auszuruhen. Was sie kannte, war die Müdigkeit und ein Gefühl, das ihr die Kehle zuschnürte. Es war vielleicht eine Krankheit. Sie lebten nun schon ein Jahr auf der Müllkippe. Als der Regen kam, wie jeden Sommer, wurde der Slum zu einem großen Schlammbecken. Die Hütte stand unter Wasser. Paruls Mann baute aus Kisten ein Bett. Darunter gluckerte das dreckige Wasser, schwammen Ratten, wenige Zentimeter von Paruls Körper. Sie war schon wieder schwanger. Und sie hatte Angst, denn sie schaffte die Arbeit schon jetzt kaum mit einem Kind. Sie war doch erst 15.
Ihr Mann wollte jede Nacht mit ihr schlafen. Parul wurde ängstlich, wenn die Nacht kam, mit den Geräuschen aus den Hütten, die machten, dass ihr übel wurde. Man hörte Schläge und das Stöhnen der Männer in der Nacht, das Parul so gut von ihrem Mann kannte. Er hatte sie noch nie gestreichelt, ihr Mann. Er drang in sie, manchmal schlug er sie dabei, und immer tat es weh. Die meisten Frauen im Slum bekamen ungefähr sieben Kinder. Meist starben drei davon.
Parul saß einige Monate später mit zwei Kindern auf dem Ziegelhaufen. Das letzte Kind war zum Glück ein Sohn geworden. So etwas wie Windeln, Babypuder, Wiegen, Spielzeug hatte es nicht im Slum. Parul schrubbte die Kinder mit kaltem Wasser am Brunnen. Manchmal so sehr, dass die Kinder zu schreien begannen, doch Parul konnte gar nicht aufhören, das dreckige Leben von ihnen abzuschrubben. Einen Brunnen hatte es im Slum für ungefähr 10.000 Menschen. Jeden Morgen weckte die Sonne Parul gegen fünf. Denn wenn die Sonne kam, war es nicht möglich weiterzuschlafen, die Hitze und der Gestank wurden dann zu unerträglich, der Gestank nach Moder, verfaultem Fleisch, Urin, Kot und schmutzigen Menschen.
Parul hoffte jeden Morgen, dass die Kinder nicht zu schreien begannen, denn dann würde Panu geweckt und böse. Parul ging sich waschen und Wasser holen. Danach begann sie Müll und alte Fetzen von Kunststofffasern zu entzünden, um Reis zu kochen. Sie fütterte und wusch die Kinder und ging dann mit ihnen zum Steinhaufen. Neun bis zehn Stunden saß sie da, vor ihr donnerte der Verkehr, und bereits nach einer Stunde hörte sie nur noch das dumpfe Geräusch, das das Zerklopfen der Steine machte, und ihr ganzer Körper war voll roten Staubes. Ihre Kinder waren sehr ruhig, als wüssten sie, dass es sich nicht lohnte, gegen ihr Schicksal anzuschreien. Drei Jahre später, das dritte Kind war geboren, eines gestorben in einer sehr kalten Winternacht, kam ihr Mann mit guten Neuigkeiten nach Hause. Ein Vetter von ihm wohnte in einem besseren Slum, und er half ihm bei der Beschaffung einer Fahrradrikscha, mit der er arbeiten könnte, um den Platz im neuen Slum zu bezahlen. Der Slum hätte richtige Strohhütten und wäre von der Straße weg gelegen. Und vielleicht könnte Parul sogar Arbeit in einer Fabrik finden. In dieser Nacht war Parul fast glücklich.
Am nächsten Tag kam es zu einem Streit mit der Nachbarin. Worum der ging, war egal. Es war ein bisschen, hier im Slum, wie in einem Gefängnis, in dem Tiere lebten, traurige, gereizte Tiere. Die Nachbarin griff Parul an und verprügelte sie. Dabei brach sie Parul zwei Rippen und die Nase, und sie fand sich ohnmächtig am Boden wieder, als ihr Mann zurückkam. Er drehte sie mit dem Fuß um und sah sie an wie ein Stück totes Vieh. Er sagte, wenn du morgen nicht mitkommen kannst, bleibst du hier. Da spürte Parul das erste Mal Hass auf ihren Mann. Nie hatte Parul mit ihm über irgendetwas geredet, das nicht mit der Organisation des Lebens zu tun hatte. Wozu auch reden. ER war doch ein Mann. In jener Nacht wimmerte Parul vor Angst. Und als ihr Mann am nächsten Morgen die Sachen packte, riss sie sich zusammen. Schweigend ging sie hinter Panu durch Dhaka. Parul sah Dhaka zum ersten Mal. Sie war noch nie aus dem Slum herausgekommen. Sie lief mit dem Gepäck, dem schmerzenden Körper und den Kindern an hohen Häusern vorbei, an Cafés, aber auch an Menschen, die noch schlimmer dran waren als sie. Menschen, die am Straßenrand lebten, Menschen, die verrückt geworden waren, weil es so etwas gibt wie Menschenwürde, und wenn man lebt wie ein Tier, ist es, als ob das Gehirn irgendwann aufhören würde zu arbeiten, weil es die Erniedrigung nicht mehr erträgt. Sie liefen drei Stunden und kamen dann zu einem Abwassertümpel. An dessen anderem Ufer lag ihre neue Heimat. Der Slum befand sich direkt neben dem Viertel, in dem die Reichen wohnten. Sie waren durch Straßen gekommen, die von Bäumen gesäumt waren, hinter hohen Toren hatte Parul große Villen gesehen und Vögel singen gehört. Doch nun fuhr sie mit einem Boot über einen Abwassersee zu ihrem neuen Heim. Wahrscheinlich dem, in dem sie sterben würde, dachte Parul kurz und sie erkannte sich heute selbst nicht wieder. So viel dachte sie sonst nie, vielleicht machte der Schmerz der gebrochenen Rippen sie benommen.
Der neue Slum war eng und heiß. Dunkle Gassen aus Schlamm führten durch dicht bebaute Hüttenreihen. Ihre Hütte war ungefähr acht Quadratmeter groß und hatte einen festgestampften Boden aus Erde. Parul schaute sich in ihrem neuen Zuhause um. Vielleicht würde nun doch alles besser werden.
Parul war 25 geworden und hatte vier Kinder. Die älteste Tochter versorgte die Kleinen und ging putzen, sie war ja schon sieben. Parul hatte Arbeit in der Fabrik gefunden. Jeden Morgen um fünf lief sie los, um eine Stunde später in einer großen Halle anzugelangen. Dort war es drückend heiß, ungefähr 500 saßen an Nähmaschinen. Parul nähte Taschen auf Hosen. Die Arbeit war besser als das Steineklopfen, aber Parul hatte jeden Tag Angst, dass der Aufseher sie vergewaltigte, wie es am Anfang zweimal geschehen war. Oder ein Arbeiter sie verprügelte. Manchmal wurde Parul einfach nicht bezahlt für ihre Arbeit. Ein anderes Mal wurden die Fabriktüren verriegelt und sie mussten die ganze Nacht durcharbeiten. Dann wurde sie am nächsten Tag von ihrem Mann geprügelt. Parul arbeitete bis zehn Uhr in der Nacht und danach lief sie durch die Dunkelheit nach Hause. Allmählich musste sie wenigstens keine Angst mehr haben, vergewaltigt zu werden, denn sie sah schon aus wie eine alte Frau. Zu Hause kochte sie für die Familie. Ihr Mann war den ganzen Tag Fahrradrikscha gefahren, durch den Dreck und die Abgase, und er wurde immer bösartiger. Manchmal, wenn Parul eine Minute für sich hatte auf dem Weg in die Fabrik, dachte sie über ihr Leben nach. Die Gedanken machten sie traurig. So traurig, dass sie kaum mehr Luft bekam. Und sie wünschte sich zu schlafen, um die Trauer nicht so zu spüren.
An einem Abend kam Parul früher nach Hause, weil ihre Nähmaschine ausgefallen war. In ihrer Hütte war eine junge Frau am Kochen. Sie sagte, sie sei Panus neue Frau. Parul hockte sich vor die Hütte und wartete auf ihren Mann. Als der kam, sagte er, Parul solle gehen, er habe jetzt eine neue Frau. Da fing Parul an zu schreien. Sie schrie für jedes Jahr ihres Lebens und sie hörte auch nicht auf, als ihr Mann sie zu schlagen begann. Sie fiel zu Boden. Er trat sie. In den Bauch, auf den Kopf, und Parul hörte, wie Dinge in ihr kaputt gingen. Wie ein Bündel Unrat ließ ihr Mann sie vor der Hütte liegen. Die Nacht kam.