zehn Jahre alt. ich bin gerührt

On 22/06/2013 by Frau Berg

Das ist ein Moment, so perfekt, das er Kopfschmerzen erzeugt, weil es einem drängt , mehr mit dieser flüchtigen Perfektion zu machen, als sie nur zu atmen,und nicht zu wissen, was dieses MEHR will. Die Strasse ist Autobreit und schmiegt sich am See entlang. Ein goldener, schwerer Herbst ist, die Sonne kämpft gegen leisen Nebel, der Geruch von brennendem Holz in der Luft, man braucht keine Sonnenbrille mehr, was schade ist, denn er fühlt sich sicherer, mit der Brille. Wie über Moos gleiten, an alten Villen vorbei, am See vorbei, nach Bellagio.

 

(Kamerafahrt ein Mittdreissigjähriger Mann, auf Junglord gestylt,Scheitel, zackig,zu warmer Buberry Coat,Cordhosen, Sakko -in einer Tasche eine Reclam“Flaubert“ Ausgabe, im Fond eines Taxis, setzt eine Gucci Brille auf, und wieder ab, spielt mit den Enden seines Hermes-Schales (Imitat)feine Schweißperlen und die Ratlosigkeit eines Menschen im Gesicht, dem sein Zentrum abhanden kam. Vielleicht hatte er auch nie eines.)

 

Totale-Kleine Vögel in Oleanderhecken.Ein altes Lido-Strandbad.Keine kaputte Puppe in einer Pfütze.

(Kamerafahrt

Vorbei an einem leerstehenden Palazzo, durch den kleinen Ort Bellagio, der so ungefähr das Perfekteste ist, was man als kleiner Ort sein kann, in dem jeder Millimeter schon einmal von Prinzen,Königs oder Filmstarfüssen berührt wurde, in eine Auffahrt, leider nicht Kies, macht zuviel Lärm, das Taxi hält vor dem Eingang der Villa Serbelloni.)

Livrierte Herren schlendern herum, wollen Koffer tragen, es gibt keine Koffer.Er trägt nur eine Medizinertasche, die er von einem Karen-Freiheitskämpfer geschenkt bekam,irgendwann in einem anderen Leben,vor sich, wie ein Schild, zur Rezeption, die verunglückt in dem alten Palazzo liegt, ein wenig 80er die trotzig gegen zu viel Schönheit ankämpfen, wie mit Schulterpolstern und Leggins. Die Schönheit gewinnt, denkt der junge Mann, als er einem Pagen in den 2. Stock folgt. Ein Superiour Double sollte es dann schon sein. Das Zimmer groß wie ein Fußballfeld, Gottlob ohne die Spieler, das fehlte noch, 12 schwitzende Männer mit Gorilla IQs. Das Zimmer erschlägt ihn, es ist in jeder Hinsicht größer, als er.

 

(Kamerafahrt auf: Murano-Lüster, Fresken,Lapislazuli-Dekors, der See durch die Fenster, ein Boot verschwindet am Horizont, der junge Mann sitzt auf dem Bett und betrachtet wie gelähmt seine Füße, die wie zwei ungebackene Brötchen auf einem Perserteppich vor ihm liegen)

 

Er kann jetzt noch nicht sterben. Wie soll das gehen? (Neonschrieft:WIE SOLL DAS GEHEN?)

Hier , am Nachmittag in goldener Sonne,und was,wenn er zurückwill, in den letzten Sekunden?. Vielleicht am Abend, vielleicht wenn es kühl wird und man eine Stola bräuchte, die man nicht hat, wegen Mann.

 

Er hatte sich vorgestellt, wie nonchalant er sich im Hotel bewegen würde, mit ölbaronen plaudernd, Zigarren rauchend, seinen Abgang mit dem Stil zelebrierend, nur die Füsse vom Wasser benetzt. Was nun ist: Ein blonder unsicherer Junge in einer zu großen Umgebung, der nicht weiter weiß.

Er hatte sich immer Trost eingeredet, in den letzten Jahren, in denen er mehr und mehr in der Nichtbeachtung verschwand. Nicht wissend, das jeder unbedeutend ist, hatte er gedacht: ich kann jederzeit gehen. Noch nicht einmal das kann er,merkt er.

Er steht auf, mit diesem Gefühl, sich nicht bewegen zu wollen, fallen zu wollen. Die Atmung verlangsamt, den Herzschlag, wie machen das diese Yogis nur. Gleich kommen seine Freunde, erwarten eine Oktoberparty.Er wird sie alle umarmen.Sie werden verwundert sein, und weinen. Danach wird er es tun. Die Spritze , die Salzlösung, es wird schnell gehen, hat sein Arzt dem die Zulassung wegen Medikamentenmissbrauch entzogen wurde, gesagt. Also runter, die Freitreppe, in den Park. Endlich Kies.

 

(Kamerafahrt: Bootsanleger, Möwen auf Pfählen im Wasser, vermutlich tot, Gartenhäuser mit Wein bewachsen, auf Gartenstühlen, natürlich weißes Metall, alte Millionärswitwen aus übersee,mit kleinen silbrigblauen Locken)

 

Er schleppt sich durch den Park, sein gedrungener Leib neigt zur Transpiration, unter dem Strohhut Schweißperlen,Aschenbach?

Was war nur so schiefgegangen? Er hatte geglaubt, sein Leben hätte kein Ende. Gedacht, das er weltberühmt würde, und reich, das er ein außergewöhnliches Leben haben würde , WEIL ER DOCH AUSSERGEWöHNLICH WAR.Er war ein gefördertes Kind ,4 sprachig, er gab mit Mitte 20 eine eigene Zeitung heraus, hatte ein eigenes Radioprogramm, machte Filme, verkehrte mit DJ`s, las jeden Tag über sich, reiste nur 1.Klasse, er war ein Medienwunderkind. Alle verehrten ihn als Erfinder der Med-Art, der Mainsteramkompatiblen Symbiose von Medien, Kunst, Populärkultur und Fernweh. Er berichtete live aus einem Hotel in Ruanda , während die Eingeborenen einander die Schädel spalteten, machte er Kunstfotos und eine Schauspielerin deren Eltern ein Gestüt hatten, fertigte Scherenschnitte an, er war zu Gast bei den Karen( die Tasche!) und rauchte Gras mit den beiden minderjährigen Rebellenanführern während ein DJ die Klänge der Maschinengewehre remixte. Er war für einige Jahre DIE Person, alte Kulturschaffende hofierten ihn in falsch verstandener Jugendverliebtheit, homosexuelle Meinungsmacher fanden ihn soooo süß, und für den Rest war er einfach ein Held, denn er verdiente viel Geld und traf Heike Makatsch. Der Abstieg kam, von ihm lange unbemerkt, so wie der Untergang Deutschlands, ein nebliger Prozess. Die Zeitung ging ein, die Radiosendung wurde beendet, die Geldgeber zogen sich zurück, und irgendwann musste er mit Vorzimmerdamen sprechen die fragten: wie bitte war noch mal der Name? Es hatte Jahre gebraucht, bis unser Held verstanden hatte., das seine Zeit endgültig vorbei war. Der Höhepunkt seines Lebens mit 30, das waren die 90er, das war die Zeit in der mainstream Kunst wurde, in der pop Kunst wurde, in der Styling alles war, und Oberfläche, doch dann wurden die Menschen, lass sie uns Endverbraucher nennen, müde, und teilten sich in 3 Lager: die die Talkshows schauten, die graue Mitte die Alain de Botton für einen Philosophen und Cohelo für einen Literaten, und die , die müde von all der leeren Luft nur noch Bücher von Gehirnchirurgen lasen und Konzeptkunst zum Frühstück assen. Alles was er nun noch hätte tun können wäre mit unglamouröser Anstrengung verbunden. Das ging natürlich gar nicht.

 

(Rückblende: Die Büroräume in einer alten Villa in Bangladesch, bedienstete, unser Hauptdarsteller in einem Barcelona Chair, um ihn seine Freunde,an der Wand ein Gilbert& George Portrait von Tayler Brule. Eine junge Schauspielerin weht in den Raum und singt ein Lied, das Oasis für sie geschrieben hat, Unser Held ist mit der Endfertigung eines Lifestyle Internetportales beschäftigt. Alles läuft gleichzeitig, alles beschleunigt. Alles ist Projekt. Eine Luxusartikelmesse, eine Talk Show, ein Film, alles hipp top, angesagt, schnell und modern. So Bret Easton Ellis mässig. Der Held lehnt am Fenster, schaut auf die Slums. Da ist ihm wichtig, so den Bezug nicht verlieren. Er ist unendlich in diesem Moment.)

 

Es ist 18 Uhr. Die ersten Gäste treffen ein, Freunde, die keine Freunde mehr sind, die sich zurückgezogen haben, weil sie Aas wittern, weil untergehendes Aas einen Strudel erzeigt, und alles mit sich reißt. Eine ehemalige MTV Moderatorin hüpft aus einem Tragflächenboot,gefolgt von einem ehemaligen Chefredakteur, gefolgt von einer ehemaligen Szene Band, gefolgt von einem Berater für irgendwas.

 

Ehemalige Mtv Moderatorin: Wow, ist das overdressed hier. Voll retro.

 

Ehemalige Szeneband:

Sind Stars hier?

 

Ehemalige MTV Moderatorin:

Hat es Wireless?

 

Wenig später: Zehn Personen zu Tisch am Pool Restaurant Mistral. Michelin Punkt, berühmt durch den Küchenchef Ettore Bocchia, sowas wie dem italienischen nacked cook, nur angezogen. Erfinder der Cucina Molekulare-fettfreie Mayonnaise, Pasta die nie zerkocht und Nouvell Cuisine die nicht dickmacht. Geniale Sache. Perfekt inszeniert, Blick über den See. Lichter am anderen Ufer, Abenddunst.

Der Held sitzt inmitten seiner ehemaligen Freunde,die 7 Gänge des Degustationsmenüs-Turbot Fillets are wrapped in leek and cooked in melted sugar-no fat, burrata cheese used for ice-cream cooled whit nitrogen—und so weiter, ziehen sich über 3 Stunden

dahin. Sie lachen und reden, aufgeregt von PROJEKTEN.

Da läuft jetzt was mit 3 D-und DJ`s die in der Ritze auflegen, dem Box Club in Hamburg und Ben Becker, der Burroughs sagt. Und der Berater macht jetzt Autotests für das Ex Magazin von Tyler Brule, und alle sind ausgelassen und haben Spaß an den wie choreographierten Bewegungen des Servicepersonals, und er sitzt da, und wird immer stummer und denkt: Es ist, als wäre ich schon gegangen. Und die endgültige Niederlage gibt ihm Kraft, er springt auf und ruft: Lasst uns doch nochmals was versuchen, eine tolle Sache, ein Internetblog mit japanischen Robotern…

kurzes schweigen am Tisch, dann bestellt einer einen Kaffee.

 

(Kameraschwenk:

Eine letzte Fähre setzt nach Mennaggio über. Einer aus der Band fragt mobil seine Mails ab. Der Berater lädt Songs auf sein Mobilphone, das Hotel scheint sich kurz zu ekeln( wie zeigt man das?))

 

Der Held geht ab. Keiner merkt es. Das ist das schlimmste. In seinem Zimmer,das ihn verhönt, mit seiner Arroganz, mit seinem: ich werde noch da sein, wenn es dich schon längst nicht mehr gibt-prüft er seinen Kontostand. Sein Barguthaben langt noch für eine Nacht im Hotel, der überziehungskredit noch ein wenig länger, fände er etwas billigeres. Hier im Ort.

Der Ort ist so gut, so leise, hält den Atem an, seit 200 jahren, der Held denkt an all die Prinzen und Könige die hier waren, mit Scharen von Bediensteten, Flure wurden da gemietet und Räume nur um die Kleider auf den Betten auszubreiten. Was hatten die Stil damals. Romy war hier, und die Hotelangestellten mussten bei ihr sein, bis in die Morgenstunden, weil sie nicht allein sein konnte. Der Held denkt sich, wie das wäre, säßen jetzt zwei Kellner betreten auf seinem Bett . Er fühlt sich Romy so nah.Stückweit.

 

Kameraschwenk ins Restaurant Mistral:

Die Tische werden abgedeckt. Die Angestellten gehen in ihre Personalzimmer. Die Lichter gehen aus.Grillen sterben.

 

Am Morgen nach einer Schlaflosen Nacht entdeckt der Held die Minibar für sich. Ein kleiner Cognac macht alles nicht besser , nicht leichter , aber verschwommener. Mit der leichten übelkeit, die Alkohol am morgen erzeugt, begibt sich der Held in den Frühstückssaal. Er blickt kurz auf den riesigen Muranoleuchter, auf Deckengemälde und die vornehmlich alten Paare an den Tischen. Keine Socken in Sandalen sieht man hier, nur gut gepflegte Frisuren, durch Reichtum entspannte Gesichter und kleine Kashmirplaids. Angewidert von soviel Bourgeoise geht er in den Park, sitzt an einer begrünten Mauer, sieht auf den See und merkt, das er heute auch noch nicht den Mut finden wird zu sterben. Ein Gärtner tritt zu ihm, die Erfahrung lässt ihn den unglücklichen Mann ansprechen, es beginnt ein leises Gespräch in gebrochenem deutsch, in dem sich herausstellt, das ein Verwandter des Gärtners ein Haus zu vermieten hat, sie könnten gleich mal hinfahren und schauen.

 

Kameraschwenk: Fahrt in einem Kleintransporter ins Hinterland, der Held kämpft gegen seine übelkeit, er weiss offenkundig nicht, was mit ihm passiert.In einer schattigen Senke steht ein hohes ,verfallendes Haus, einige Scheiben sind zersprungen. Im Haus-feuchte Kälte, in jedem Zimmer alte Matratzen, alte Betten, zerbrochene Stühle.

 

Mein Vetter, Cousin, was auch immer kommt gleich, hatte der Gärtner gesagt, und unser Held sitzt auf einer feuchten Matratze, starrt auf einen Blecheimer, warum steht der da, und wartet.. Nach einer Stunde ( nicht Echtzeit) kommt ein alter Mann, offensichtlich mit einem Alkoholproblem.

(Close up :Mund-keine Zähne darin, aber einfache herzensgute Bauernhände)

Er redet unverständliches, zieht eine Schnapsflasche aus einer Sakkotasche bietet einen Schluck, nimmt selber,bietet die Hand zum Schlag und nimmt das fast letzte Bargeld des jungen Mannes in Empfang. Die Flasche lässt er da.

 

Kameraschwenk es wird abend, dunkel, empfindlich kühl, unser Held sitzt auf der Matratze, seit Stunden, unfähig sich zu bewegen. Bei Untergang der Sonne kommt der Vermieter dazu,beide trinken schweigend.

 

(Wiederholungen der immer gleichen Situationen)

Der Held erwacht gegen 5 mit Kopfschmerzen und schlechtem Geschmack im Mund, der Vermieter ist da nicht,er geht zur einzigen Waschgelegenheit des Hauses, in einer Küche, die mit kaputten Stühlen vollgestellt ist, er putzt sich die Zähne und macht sich einen Kaffee mit Wodka. Dannach geht er zu Fuss in den Ort, was ungefähr eine Stunde dauert, durch die Pausen, in denen er steht und sich an einem Gedanken versucht, der sich nicht einstellen mag. Im Ort geht er in den einzigen Laden, kauft ein Croissant, stiehlt Alkohol, und begibt sich zum Tor der Villa Serbellione. Dort steht er still, eine Stunde, starrt auf ein Eingang, dreht dann ab, geht zurück in sein Haus, in dem er den Rest des Tages mit Trinken und Selbstgesprächen verbringt, die ihm so peinlich sind, das er zu leise spricht und sich dadurch schlecht versteht.

 

Zeitsprung-3 Wochen später

Der Held torkelt durch Bellagio. Er riecht unangenehm. Er wirkt aufgedunsen,hält inne und schaut durch das eiserne Tor zur Villa Serbellione

 

Der Held weiß nicht mehr, was war. Er weiß nicht, was kommen wird, irgendwas erinnert ihn, an alte Träume, als er die Villa Serbellione betrachtet. Der perfekteste Hotelldirektor der Welt-Signore Spinelli empfängt gerade eine alte kubanische Witwe, Hermes Gepäck wird entladen, Alter kann sehr angenehm sein, wenn es mit Geld gekoppelt ist. Geld hat er keines mehr. Wie der November riecht, so ein wenig Frost in der Luft. Und keine Freunde sind geblieben,keiner der ihm die Hand hält, noch nicht einmal mehr Exemplare seiner alten Zeitschrift hat er nicht, wenn er von der Welt gehen wird, was an ihn erinnert. Er wird verschwinden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Aber zum gehen ist noch Zeit. Da hat es noch eine Flasche die auf ihn wartet, in dem alten Haus, in dem es nun eiskalt geworden ist, was er aber nicht spürt. Zum Glück nicht spürt.

 

Kameraschwenk Zurück in die Villa Serbelloni:Im Aufenthaltsraum spielt ein Trio Ave Maria, in alten Korbsesseln sitzen lächelnde ältere Menschen mit gutem Geschmack und zurückhaltenden Trikotagen. Am Pool eine Dame in einem Reiskostüm, Mauro der Barmann spricht 6 Sprachen, eine verwendet er gerade im gespräch mit einem alten Fabrikbesitzer, die Sonne liegt hinter einem Bettvorhang aus Chintz,das Leben steht still in seinem besten Moment. Für die nächsten 200 Jahre.

 

 

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