aus: Judith-Monologe
Judit, 38, und die Ehe:
Er würde mein letzter Mann sein, hatte ich mir geschworen, als ich ihn traf. Ich war noch nicht alt, doch ausnehmend müde. All das Leiden, die Grobheit, die Angst, die ich als Liebe verstanden hatte. Und zum Alleinsein taugte ich doch so wenig wie die meisten, die Berührungen brauchen, um nicht traurig zu werden. Es ist zu schmutzig, das Leben, die Welt ein zu hässlicher Ort und lässt sich doch nur ertragen, wenn einer dir sagt, dass du weiteratmen sollst.
Und dann traf ich ihn und dachte, es hätte sich gelohnt, das vergangene Leiden, ich hätte gelernt, wäre nun reif oder hätte mir Glück verdient. Was für eine absurde Idee.
Es schien so einfach, am Anfang, dass ich nicht verstand, was in meinen Liebesgeschichten früher so schwierig gewesen war.
Ich mochte, wie er mich liebte. Nicht der Akt, der mehrmals täglich sein Interesse manifestierte, machte mich glücklich, sondern mit welcher Ausschließlichkeit er seine Welt um meine kreisen ließ. Ich hatte die Ausnahme gefunden, den Mann zum Altwerden, den Kameraden, Bruder, die Freundin.
Unser erstes Jahr fand, in meiner Erinnerung, im Bett statt, in dem ich lag, und er brachte mir Essen, er trug und streichelte mich. Es schien, als hätte ich den einzigen Mann gefunden, der anhänglich war und leise, der sich nicht scheute, seine Frau zu berühren, um die er sich sorgte. Ich dachte, dass er vielleicht kein richtiger Mann wäre, weil er so weich war und mir zuhörte, obgleich ich kaum etwas zu sagen hatte. Ich liebte es, ihn durch das Haus gehen zu sehen, mit all diesen unbeholfenen Männergesten, den Dingen, die er zu Boden fallen ließ, den Schaden, den er anrichtete, der Ratlosigkeit, die ihn umgab, wenn er etwas außerhalb seines Universums antraf, und das war fast alles, was zum täglichen Leben notwendig war. Er war wie ein Kind, bevor er wieder zu einem Mann wurde, den ich nicht verstand. Nach jenem ersten Jahr begann das, sehr unauffällig kam es, so dass ich erst glaubte, er hätte eine leichte Erkältung oder einen Virus, dass er doch einfach krank sei oder ihm anderweitig unwohl. Er saß vor unserem Haus und trank Bier, er wischte sich seine Hände an seiner Unterhose ab, und sein Mund stand offen. Er hörte mir nicht mehr zu. Er sah mich nicht mehr. Er war abgelenkt durch etwas in den Tiefen seines Gehirns, zu dem ich keinen Zugang hatte, ich vermutete, dass es dort einen schwarzen Teich geben müsste, in dem er baden ging, jeden Tag.
Die Berührungen wurden seltener, sein Schweigen wie das aller Männer, die ich zuvor gekannt hatte. Freunde tauchten auf, die ich in dem Jahr zuvor nie gesehen hatte.
Männer, die mich kurz musterten, als sei ich etwas, das Bier brächte.
Er sagte: „Ein Mann braucht seine Freunde.“ Und ich wusste nicht, wozu. Ich verstand nicht, wo diese Anteile seiner Person zuvor verborgen gewesen waren, doch die Aura absoluter Leere, die sich um ihn aufhielt, machte mir Angst. Er schlief noch einmal im Monat mit mir, achtlos. Und seine Stimme, die ich wohl nur flüsternd gehört hatte zuvor, wurde zu etwas, das mich erschreckte. Wenn er die Nachrichten kommentierte, lachte er kurz auf, um sich im Anschluss seine Weltsicht zu erklären. Es war, als wäre er sich selbst entnommen und durch Ersatzmaterial ausgetauscht worden. Mein Körper war der einzige Zugang zu seinen Gefühlen gewesen – und nun wertlos.
Ich lief in befremdlichen Kleidern in der Wohnung, wollte ihn verführen, und sein Blick suchte etwas an der Decke.
Ich hatte ihn verloren und wollte ihn auch nicht wieder finden, diesen mir fremden Menschen, der morgens schweigend das Haus verließ, froh, sich in eine Welt zu begeben. Er benötigte Anweisungen, Lohnstreifen, Stechuhren, Hierarchien, und es war mir unbegreiflich, wie man sich auf das Gehirn eines Vorgesetzten verlassen konnte, wusste man doch, dass aller Mensch Gehirne nicht zu etwas Großem taugten. Es schien, als wäre er froh, wieder bei sich zu sein, und hatte er im ersten Jahr fast geweint, wenn er zur Arbeit gehen musste, sprang er nun mit federnden Schritten aus dem Haus. Er kam abends zurück, er roch nach Alkohol, er war zufrieden, er grüßte mich kaum. Er kommentierte die Nachrichten, wir führten eine normale Ehe. Ich wollte keine normale Ehe, ich wollte keinen Mann. Ich wollte ihn zurück. Doch er war verloren oder eine Einbildung gewesen. Ich ahnte, dass es für mich alleine keinen Frieden geben würde und mit einem Mann nicht.
Vielleicht schnitt ich ihm in der Nacht die Kehle auf. Wahrscheinlicher ist, dass das Blut aus meinen Augenhöhlen dringt. Man kann sich durchaus die Augen aus den Höhlen reißen. Wenn man es fest genug will.