Geschichte zum Mittwoch

On 18/03/2014 by Frau Berg

Es war so ein Moment, da die Seele den Körper verlässt, eine Runde dreht und sich das Desaster ansieht, ehe sie verstört wieder in den Leib kriecht, um Bericht zu erstatten.

Sie zuckte ein wenig zusammen, denn das Bild war erschreckend: Ein älteres Paar in einem vegetarischen Feinschmecker Restaurant, das zur Knolle oder zum Ampfer hieß, es war das Jahr 2010, da nannte man teure Restaurants so. Nicht mehr französisch, nichts mehr mit petite herbe, sondern ehrlich, erdig waren die Namen, und die Inneneinrichtungen. Gehobener Bürgergeschmack und immer waren großkarierte Stoffe und dunkles Holz im Spiel, immer standen exquisite große Stehlampen mit Textilquaderschirmen auf alten rustikalen Beistelltischen. Vermutlich gab es für Designer ein Programm im Internet, das sie herunterladen konnten, und in dem alle Eckpunkte der gestalterischen Vorlieben wohlhabender Menschen um die 50 enthalten waren. Auf Englisch. Die Designsprache. Use a kind of Bauernmöbel but they must be made from Teakholz.

Alles im Leben folgte Codes. Stillen Übereinkünften, Gesetzen die das Leben erleichterten, denn Routine schenkte einem eine gewisse Freiheit. Man aß unterdessen Vegetarisch, dass war ein wenig verrückt, aber separierte einen noch nicht von den Normalen. Alle um sie sahen aus, wie Chinesen auf einen Europäer wirkten, und redeten während dem essen ausschließlich darüber, was sie im Verlauf ihres Lebens schon zu sich genommen hatten. Die Gourmets von heute, das waren keinen runden lustig bacchantischen Schlemmer, sondern disziplinierte Bildungsbürger, die demnächst das Opernabonnement ihrer Eltern erben würden. Und sie mitten drin. Ihr Mann steckte sich gerade ein Stück flambiertes Irgendwas in den Mund. Sein Gesicht verwandelte sich in das einer wiederkäuenden Kuh, was ihr nicht unangenehm war, denn Kühe waren als Tiere über jeden Zweifel erhaben. An den übrigen Tischen saßen—Reptilen, Hyänen und Frettchen. Ihre Seele flog los.

Sie landete fast 30 Jahre früher. Und sah sich sitzen in einem gelben Untermietszimmer, in ihren Ohren rauschte es, von zu viel Stille. Sie war müde, es war kalt. Nachts arbeitete sie an der Kasse einer Diskothek. Oder als Putzkraft. Oder als Küchenhilfe. Geld hatte sie nie, und solche Angst und keine Ahnung vor was. Die Welt war zu groß, und sie noch zu jung um irgendeinen Platz darin einzunehmen. Essen hieß damals für sie eingepackter Schmelzkäse und Knäckebrot, Tütensuppen und Äpfel immer Hunger und unglücklich sein und sich sehnen. Mit einer Stärke, die ihr in ihrem heutigen Leben völlig abhanden gekommen war. Etwas so sehr zu wollen, und nicht zu wissen was. Ihr Hunger damals, war mit Essen nicht zu stillen gewesen-

Schnell weg von dieser unwürdigen Erinnerung-Sie sah sich mit Mitte dreißig in einer reizenden Wohnung. Der Kühlschrank war gefüllt in der Zeit zwischen dreißig und vierzig, wenn man nicht mehr an Wunder glaubt, aber doch noch ein wenig darauf hofft. Dass einem etwas zustünde, vom Leben, einfach weil man den Mist auf sich nahm, weil man sich ankleidete, Formulare ausfüllte, enttäuscht wurde, fror, dass musste doch belohnt werden, konnte doch nicht sein, dass die tausend anderen Embryonen das große Los gezogen hatten Sie fühlte sich noch jung, stand auf dem Balkon ihrer überschaubaren Wohnung, sah den Schwalben zu und der Hunger war leiser geworden. Es ließ sich aushalten, ihr Leben, wenngleich sie ein wenig müde wurde, bei dem Gedanken es noch 40 Jahre in der gleichen Form fortzusetzen.

 

Das Dessert. Etwas mit Sauerampfer

Und fast waren Körper und Seele wieder deckungsgleich.

Weitere 10 Jahre später, hatte sie ihren Mann getroffen, der damals noch Haare besaß und einen Beruf den sie nicht verachtete. Nie mehr Hunger zu haben. Einen Menschen neben sich, der freundlich war und von leisem Temperament, keine Angst mehr, außer der, vor dem Tot, der mit jedem Restaurantbesuch ein wenig näher kam, wie die ersten Flecken auf den Händen, die ersten grauen Haare, das war der Verfall, nichts würde ihn aufhalten können, das war ihr Leben und es jetzt noch zu verändern ein Akt, der einer Kraft bedurfte, die sie nicht mehr hatte. Und ändern—in was? In eine andere Stadt ziehen, alleine, in der niemand an einer alternden Frau interessiert war, und da vielleicht eine andere Sprache gesprochen wurde? Keine Alternative.

Das war ihr Leben und es würde sie mit allen Feinschmeckerlokalen begleiten, bis sie es irgendwann final verlassen würde.

 

Der Espresso wurde serviert, und sie kehrte zurück.

Sah den Mann ihr gegenüber der vom Wiederkäuer zum Menschen geworden war, dessen Kopf ein wenig gerötet war, und der eine große Zufriedenheit ausstrahlte. Er hatte gut gegessen, sie würden gleich in einem nach Leder riechenden Auto in eine nach Blumen reichende Wohnung fahren, sich Aneinanderschmiegen und einschlafen, erwachen in einem neuen Tag der ohne weitere Sorgen auf sie wartete. Die glücklichste Zeit ihres Lebens war jetzt. Was war falsch daran, nichts mehr zu wollen, außer vielleicht ein wunderbares neues Vegetarisches Restaurant, einen raren Wein zu entdecken? Viel mehr war es doch nicht, was von einem blieb. Ein Körper, im besten Fall ein wohlgenährter, der Futter würde. Da war nicht schlechtes, am Sattsein. Dachte sie, lächelte, und war wieder eins, nach dem Moment der Verwirrung, die einen befällt, wenn die Seele kleine Ausflüge unternimmt.

 

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