Zugfahren. Für Spinner

On 01/07/2012 by Frau Berg

Es gibt einen Konsens mittelständischer Bildungsbürgerträume, zu denen der Besuch der chinesischen Mauer, einmal Nibelungen sehen in Bayreuth, die Liebe zu Frankreich, und eine Reise mit dem Orient-Express zählen. Danach kann man sterben. Meist hat sich der Verstand ohnehin zuvor verabschiedet, denn Bayreuth übersteht selbst das zäheste Studienratshirn nicht unbeschadet. Ich habe es überlebt, mein Intellekt funkelt wie der Abendstern am dunkelblauen Himmel über Thailand, und ich warte in der Lounge des Eastern and Oriental Expresses, die mich an die VIP Lounge des Flughafens Bombay erinnert der mich an ein heruntergekommenes Bahnrestaurant in Rumänien erinnert hatte. Die mir stets unverständlichen Klimaanlagen dimmen die Raumtemperatur auf Schweiz im Februar, nur damit man nicht bemerkt, das man in Asien ist. Der Mensch könnte transpirieren, und das hasst er. Zwei Stunden vor Abfahrt des von außen erlesen elegant wirkenden Zuges, läuft der Reisende hier auf, um einzuchecken. Eine kleine drollige Gesellschaft, das Durchschnittsalter um die Mitte 50, der Herr mit Bermudas oder gelbliche Baumwollhosen, die er aus rätselhaften Gründen mit einem Gürtel immer über dem Bausansatz festzurrt. Die Damen tragen überwiegend dünne, traurig wirkende Gesäße in weißen Leinenhosen. Eine Frau führt einen großen Federbesetzten Hut mit sich. Vielleicht hat er ihr in einem Krieg das Leben gerettet. Siebzig Prozent der Reisenden scheinen Briten zu sein, der Rest Franzosen und Amerikaner die stolz sind auf die Erfindung ihres Landsmannes. Der „E&O” entstand nach einer Idee des eisenbahnverrückten Amerikaners James B. Sherwood, dem auch der historische „Venice-Simplon-Orient-Express” in Europa gehört.

Der Hauptbahnhof Bangkok ist einer der ruhigsten Orte der Stadt, gesittet und reizend sitzen Thailänder zwischen ausufernden Gepäckstücken und warten geduldig und

die erste unangenehme Situation entsteht, als sich die ungefähr sechzig Personen große Reisegruppe, Außerirdischen gleich, hinter einem uniformierten Orientexpress Manager über einen zehn Meter langen blauen Teppich zum Zug bewegt. Die Passagiere beziehen ihre Kabinen, ihr kleines, eisgekühltes zu Hause, während der nächsten drei Tage, da der Zug von Bangkok nach Chiang Mai im Norden fahren wird. Auf den ersten Blick scheint alles so, wie man es sich vorgestellt hat. Agatha Christi fällt einem ein, der Film Shanghai Express mit Marlene Dietrich und alle Clichees scheinen sich einlösen zu wollen. Wohin man schaut, Rosenholz und Teak alte Lampen, alte Teppiche, uniformierte Bedienstete. Die Waggons stammen aus Neuseeland und wurden in Singapur umgebaut und restauriert. Warum ist es nur so saukalt, und warum lassen sich die Fenster nicht öffnen? Da sitzt der Reisende auf einem mäßig bequemen Sofa, schaut durch eine Doppelverglasung, wie der Zug sich langsam durch die Vororte Bangkoks schiebt. Luft, möchte man, und zwar viel davon, und warme, den Rauch riechen, den man draußen sieht. Das geht auf dem kleinen Balkonwagen am Ende des Zuges. Hier drängen sich die Raucher, trinken Cocktails und winken den Thailändern, die vor Hütten kauern, deren Existenz man in Thailand nicht mehr vermutet hatte, zu. Diese lieben Einheimischen, wie sie Freude haben, am Reichtum der Touristen.

Eine Reise im Orientexpress ist ein teurer Spaß. Aber über Preise redet man nicht in unseren Kreisen, über Geld reden Proleten oder Neureiche, keineswegs die Zielgruppe der hier anwesenden Nostalgiker. Vor Beginn der Zugfahrt hatte der Passagier sich zwischen verschiedenen Tagesausflügen zu entscheiden. Unternehmungen, die jeder Mensch der bei Trost ist, unbedingt zu vermeiden sucht. Elefanten bei der Arbeit beobachten oder Tempel, am Nachmittag eine Einkaufstour in Seidenfabriken und Schnitzwerkstätten oder eine Stadttour mit Besuch von Seidenfabriken und Schnitzwerstätten. Es steht dem Menschen auch frei alleine Chiang Mai zu erkunden, oder im Zug auf dem Bahnhof acht Stunden herumzubringen. Aber das ist Zukunftsmusik. Im Moment entfernt sich der weiße Tross vom Balkonwagen, um in seinen Kabinen den Afternon Tee zu nehmen. Jedem Wagon steht ein persönlicher Butler zu Verfügung, der ausnehmend reizend Silberkannen und feine Gebäckteile in die kleinen Löcher bringt. Tee trinken, Subburbs gucken, frieren. Das Schienennetz in Thailand ist noch komplett authentisch geblieben, der Zug wartet auf jede entgegenkommende Lok, es wackelt und ruckelt und nach einer Stunde stellt sich bei den Besitzern schwacher Mägen ein Unwohlsein erster Güte ein. Doch es bleibt keine Zeit darüber nachzudenken, denn gegen sechs macht sich die erste Fütterungsgruppe fertig zum großen Diner. Für Herren besteht Krawattenpflicht, Grund genug, sich zu verweigern, denn warum ein lächerliches Strickchen um den Hals, das jeden Herrn zum Bänker macht, irgendwo auf der Welt noch getragen werden muss, ist uneinsichtig. Alle Reisenden werden platziert und haben sich als Erwachsene verkleidet. Der Butler hat Hemden aufgebügelt, Sakkos geklopft, die Damen tragen Pumps. Gold und weiß. An den Tischen entstehen Schicksalsgemeinschaften und die Gespräche ähneln sich. Man redet vom Reisen. Was man wo, wann, warum gemacht hat. Die Namen von Orten schweben durch den Raum, Restauranttips, Angebergespräche erster Güte. In Shanghai gehe ich immer zu Mister Long. Sie kennen Mister Long in Shanghai nicht? How can it be? Er serviert das beste Frikassee ganz Chinas. Vielleicht hat das Rind vorher gebellt. Man lacht über kleine abgenutzte Scherze, man zeigt sein interessantes Leben vor, wie eine Visitenkarte. Afternoon Tee im Penninsula, Lunch im Oriental Bangkok, es sind die immergleichen Standartadressen die einander verwirrend ähnelnde Menschen austauschen, Orte wo alle aussehen wie sie, sich als erwachsene verkleiden und Erwachsenengespräche führen , die aus Satzbaukästen entnommen wurden, und beliebig zusammengefügt werden. Der Zug wackelt. Das Essen ist hervorragend. Sternekoch du so weiter, das lässt das nächste Lieblingsthema der Reisenden entstehen: die Gourmetrestaurants dieser Erde. Die Namen von Spitzenköchen fallen ins Essen, nicht zu lange geschwatzt, denn die zweite Essensgruppe kommt in einer Stunde. Sie warten bereits in der Bar, sie haben sich hübsch gemacht. Sie frieren.

Draußen ist es dunkel geworden. Der Mensch kehrt vom Diner zurück in seine Kabine. Der Butler hat unterdes die Betten bereitet, nun sieht es endgültig aus, wie in jedem Schlafwagenabteil in jedem beliebigen Zug. Es ist furchtbar kalt, authentisches Reisen, wenn man in der Arktis wäre. Sehnsüchtig presst man das Gesicht an die Scheibe, draußen steht die Wärme, Feuer sind zu sehen, sonst nichts. Der reizende Butler bringt noch einen Whiskey oder eine heiße Milch, falls der Gast sich nicht schon zuvor in der Bar bei Pianomusik die Kante gegeben hat, oder mit seinen neuen Freunden Bob und Mary aus Stratford-upon-Avon beim Kartenspiel im Salon die nötige Bettschwere fand. Die bitternötige. Denn es ist laut, es ruckelt wie die Hölle, der Magen bäumt sich auf. Ungefähr 30 Kmh hat der Zug drauf, der Schlafsuchende wir ins seinem absurd unbequemen Bett hin und her geworfen, er betet. Und schläft ein zwei Stunden, weil er einen Rausch hat. Gerädert und gevierteilt wird man am Morgen vom Butler mit Frühstück geweckt, sehr früh, denn der Tag will mit Besichtigungen gefüllt sein, und an dieser Stelle flieht ein jeder, der noch alle Sinne beisammen hat. Noch drei Nächte dieses merkwürdige Theater, das ist unvorstellbares Elend. So alt, dass man sich beweisen muss, dass man es geschafft hat, möchte doch keiner werden. Und fliehend ist man erleichtert, und ein wenig traurig, ob all der Bilder die vielleicht noch im Kopf auf Einlösung warten, denn man ahnt, dass die Erde in den meisten Fällen real ein unangenehmerer Ort ist, als man sie sich in seinen Träumen denken kann. Der Fliehende kreist im sicheren Flugzeug über Chiang Mai, und vermeint unten einen reizenden Zug auszumachen, in denen Gutgekleidete ältere Menschen sitzen, und sich gegenseitig versichern, wie schön sie es haben..

 

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