![]() |
Arschgeigen
Der blödeste Leserbrief, der ekligste
Verriss, die betrüblichste Ablehnung der Woche:
| kam im magazin. konnte in deutschland keiner lesen. schade drum. | |
|
Denkt man an manche Orte , in der Nacht, in einer , da man verzweifelt nach Schlaf sucht , ihn nicht findet und jeder Gedanke sagt: dein Leben ist Mittelmaas, es ist klein und billig , und darum sag ich dir jetzt mal so einen richtigen Runterzieher: Cannes, sagt der Gedanke um einen den Rest zu geben denn mit dem Namen verbindet man Menschen , die es geschafft haben, silberne Schaumkronen auf azurfarbener Meeroberfl�che, braungebrannte Gewinner die in erlesenen Trikotagen herumstehen und weisses Konfekt essen. Ab und an schnurrt ein cremefarbener Rolls Royce an ihnen vor�ber und bewirft sie mit noch mehr weisem Konfekt.Das essen sie dann auf, aber anders, als normale Menschen essen w�rden. Ganz ohne Verdauung.Will man seiner bescheidenen Exsistenz den letzten masochistischen Todesstoss versetzten, f�hrt man als Tourist nach Cannes. Nat�rlich w�hrend der Filmfestspiele. Nach Cannes gelangt man durch die Peripherie , die aussiehst wie Z�rich Schwammendingen. Verstopfte Strassen, Hochh�user, schlechtgelaunte Menschen, O.K. es ist die Peripherie , denkt man sich , und h�sslich zu sein ist ihr Job. Wir zeichnen das erste Filmfest im neuen Jahrtausend, und der Glamour wird sich finden, es wird nur so krachen , vor lauter Glamour. Catherine Deneuve ist da, Gene Hackman, Brian de Palma, Uma Thurman, George Clooney, Jean Claude van Damme, Claudia Schiffer, Liv Ullmann, Claudia Cardinale, die m�ssen ja wo sein, die wird man schon sehen. Auf der Croisette sieht man Menschen. Nicht ein paar , nicht Uma und Catherine, sondern Demonstranten, wie es scheint. Tausende rebellieren gegen das Mitellmaas ihres Daseins. Die K�stenstrasse am Meer, Inbegriff der Mond�nit�t sieht aus wie irgendeine Strasse in einem Land der dritten Welt , wo es den Menschen nicht gut geht. Sie schieben sich im Block zentimeterweise vorw�rts wohin nur ? Nirgends hin , einfach hin und her .Sie wollen Stars sehen, die Menschen, wollen ihnen nahe sein und damit sp�ren, das sie auch wer sind, darum sind sie hier. 40 tausend sind es dieses Jahr, und die laufen gerade alle auf der Strasse herum, am ersten Tag in Cannes, auf der Suche nach einem Traum. Da steht schon einer.Das Hotel Carlton ist kaum zu sehen, es ist versteckt unter Kilos von Pappe. Pappfligher, Pappplakate, Pappbilder, Pappwerbung, wie ein Drive in sieht es aus, das Luxushotel und innen in der Bar ist einer der Treffpunkte. Von wem blo�. Die St�hle sind mit Loeral Deckchen belegt, Lorealregalnasen h�ngen im Raum, von dem ist nichts �brig, ausser Pappe und Loreal ,denn die Haarsp�lfabrikanten der Unterschicht sponsern das Festivalt, warum sollten sie das dezent tuen. In der Bar stehen ungef�hr dreissig junge M�dchen herum, die Sch�nsten die es vermutlich in Frankreich gibt. Alle blond, alle schlank , alle mit mehr aus als an. Auf jedem M�dchen Po liegt die Hand eines �lteren Mannes herum. Was macht die Hand da?Besitz ergreifen. F�r eine Nacht oder zehn Tage tr�umen die jungen M�dchen von Reichtum , Ruhm, von wildem Leben und teuren Kleidern, vielleicht haben ein paar Gl�ck. Werden geheiratet, bekommen eine Poprnofilmrolle oder werden Dauergeliebte eines Produzenten aus Belgien. Fr�her war es so. Die M�dchen wurden Geliebte von Beruf, ihr Job war es f�r zehn Tage im Jahr zur Verf�gung zu stehen und den Rest der Zeit konnten sie in sch�nen Kelidern kleine Hunde herumtragen. In der Nacht in Cannes, in der Peripherie sieht man sie in ihren Appartements. Viele alleinstehende �ltere Frauen , sie waren mal jung, hatten mal eine Hand auf dem Po und haben ein Appartement bekommen. Der Produzent schaut aber schon seit Jahren nicht mehr bei ihnen vorbei. Nun sitzen sie da, allein vor dem Fernseher, der kleine Hund ist auch nicht mehr. Vermutlich werden die jungen M�dchen heute kein Appartement bekommen. Vielleicht ein paar gute Mahlzeiten , eine Spritztour auf einer Jacht und eine Party mit George Clooney, mehr springt heute nicht mehr heraus, das �berangebot hat die Preise verdorben.Die M�dchen , die Freaks, die Fetten, die gecloonten, die bemalten, die Zombies, das ficken, ist ein Teil des Festivals. Es ist die erste Nacht in Cannes. Halb neun am morgen stehen Zweitausend der Viertausend anwesenden Journalisten vor dem Festivalpalais. Sie warten seit einer Stunden um in die ersten Vorf�hrungen des Tages zu gelangen. Alle Filmvorf�hrungen sind restlos �berbucht , �berf�llt , ausverkauft, die der Presse, die Abendpremieren die man nur auf Einladungen betreten kann, die f�r dioe K�ufer und H�ndler. Alles voll, alles platzt , der Kampf beginnt. Nach der T�r�ffnung rennen die Journalisten in die Kinos�le, sie verlieren ihr Equipement, fallen , treten aufeinander, stossen sich Ellenbogen in die Rippen. W�hrend sie rennen telephonieren sie. Jeder Aktive in Cannes hat mindestens zwei Mobil Telephone bei sich : Hallo, br�llen sie in die H�rer, oh , Tom, toll dich zu h�ren, die Party heute abend, nein ich habe keine Einladung. Solche Sachen reden sie, wichtige Sachen. Der Vorf�hrraum ist �berf�llt. Es l�uft ein Film von Amos Kollek. Ein sch�ner Film mit einer traurigen Hauptdarstellerin. Anna Thomsen, die vielleicht 38 ist , und so oft geliftet , das sie ausschaut wie die Karikatur einer 80 j�hrigen Frau. Trauriger Film, traurige Anna, der Kampf gegen das Alter ist Krieg gegen sich selber geworden, und Cannes ist das Schlachtfeld, auf dem die Leichen herumliegen. Nach dem Film rennen die tausend Journalisten aus dem Raum sie br�llen wieder in ihre Telephone, irgendwo ist jetzt ein Pressetermin mit dem Regisseur, f�r den muss man sich neu akkreditieren, weil es zuwenig Platz gibt. In Cannes , das 70 Tausend Einwohner hat , sind w�hrend des Filmfestest 40 Tausend Besucher da. Verk�ufer , Verleiher, Produzenten, Journalisten und Touristen.Das Filmfest findet auf einer Fl�che statt die so gross ist wie ein Dorf mit 100 Einwohnern. Da wird es schon mal eng. Im Keller des Pressezentrums sitzt Claudia Cardinale auf einem Sofa. Sie redet und sch�ttelt die Gliedmassen als spielte sie in einem ganz grossen Film. Es schauen ungef�hr zehn Journalisten zu. Zuh�ren tut keiner . Ist doch egal was Claudia erz�hlt ,Claudia ist eine Leiche auf dem Schlachtfeld, wie komm ich eigentlich zur George Clooney Party heute abend? Vor den Hotels an der Croisette stehen Menschenhaufen. Sie warten das ein Star herauskommt. Kommt aber keiner , denn in den Hotels verkehren nur die, die Filme realisieren,und die kommen nicht heraus sondern arbeiten bis zum Kollaps. Jede halbe Stunden ein Gespr�ch mit irgendwem. Es geht um viel Geld, um Vertr�ge um Visionen kaum noch. Darum wird laut geredet, um das winseln der Visionen nicht zu h�ren. Die H�ndler in den Hotels, die Stars im Hotel in Capes des Antipes und auf den Strassen die Journalisten und die Touristen. Schieben sich vorw�rts und werden �fter mal angefahren. Die Einwohner von Cannes hassen die Besucher, die ihnen zwar Reichtum bringen (zwei Kaffe 40 Franken) aber ihr Leben unertr�glich machen. Sie fahren wie cholerische Serienkiller mit hochroten K�pfen und wenn sie einen Touristen touchieren , springen sie aus dem Wagen und schlagen noch mal nach. Die gepr�gelten Touristen schleichen weiter. Vielleicht hatte einer die Idee einen Film zu sehen. Die Idee wird scheitern. Obwohl jeden Tag 40 Filme laufen, gelingt es kaum jemanden der nicht wichtig oder nicht Produzent ist , in einen zu gelangen. Pech gehabt, sollen doch heimgehen , die Touristen, hier wie �berall auf der Welt. Ihr seifd zu viele , ihr seid l�stig, geht doch nach Hause denn in Cannes geht es nicht um Am�sement sondern um Buissiness. Was wollt ihr? Stars sehen? Dann vesrucht doch mal zu einem Empfang zu gelangen, versucht an den zwei Meter grossen Schwarzen vorbeizukommen. Schafft man das, landet man auf der Party des deutschen Filmes am Nachmittag.Zwei Stars sind auch da. Hannelore Elsener in einem blauen Schlafzimmervorghang von Galliano und Vladim Glowna in Alkohol. Der Rest ist wichtig. Die Deutschen stehen in einer grossen Markthalle, sie reden �ber Gesch�fte, die Stars sind ersch�pft, in der Halle hat es 40 Grad.Um sieben ist der Spass vorbei, Glamour war das nicht , aber den haben die Deutschen ja sowiso nicht erfunden. Die Nacht in Cannes beginnt. Im Wettbewerb l�uft ein Film des russischen Regisseurs Pavel Loungine. Das heisst , eine Vorf�hrung zu der man �ber den roten Teppich gelangt und ausschlie�lich in Smoking steht an. Die Menschen lieben es sich zu inszenieren und alles in der Mac Donald Welt von Cannes , das nicht mit dem Gesch�ft zu tun hat ist Inszenierung, ist , wie sich sch�n machen auf dem Campingplatz um eine Runde Karusell zu fahren in Disney Land. Tausende in Abendrobe stehen am Gitter vor dem roten Teppich . Im Hintergrund baut sich die franz�sische Antiterroreinheit CRS auf. Die �belste Manifestation von Staatsgewalt. Stehen bewaffnet um Sicherheit und Wichtigkeit zu inszenieren, hinter ihnen stehen Touristen und Paparazzis. Fast alle haben kleine Trittleitern dabei, damit sie den russischen Regisseur , von dem sie noch nie zuvor geh�rt haben, auch genau sehen m�gen.Die Besucher des russischen Filmes, der vermutlich anderenorts vor 100 Zuschauern in einem Programmkino liefe, eilen �ber den roten Teppich. Alle werden fotografiert. Die Treppe entlang stehen arme M�nner in Phantasieuniformen und salutieren vor Assistentinnen des Marketingdirektors polnischer Videoverleiher.Trotzt streng limitierter Einladungen ist der Riesenssal �berf�llt und einige Menschen in Smoking m�ssen leider draussen bleiben.Warum sitzen 2000 Menschen in Abendrobe und schauen sich einen Film an, der ist , wie Big Brother auf russisch? Weil es f�r die Einladung zu einem besseren Film nicht gereicht hat, weil es vielleicht keine besseren Filme gibt, weil alles hier ist , wie im Film, wie eine Hotelfassade die leuchtet und funkelt und die hinten mit Sperrholzbalken abgest�tzt ist.Oder einfach, weil sie sich vorgenommen haben Glamour zu finden, und nun verzweifelt alles tun, um sich nicht eingestehen zu m�ssen, das es den hier einfach nicht gibt. Nach dem Film geht es zu den Events. Ein paar wenige haben Einladungen zu sehr wichtigen Starpartys. Sie werden von wichtigen Wagen in wichtige Villen ausserhalb gefahren. Dort zeigen sie die Einladung schwarzen M�nnern in schwarzen Anz�gen und stehen dann in einem �berf�llten Raum. Die Menschen auf der wichtigen Party , im Fall vielleicht mit George Clooney , repr�sentieren das Verh�lniss der Anwesenden am Festival: 98 %Produzenten, Verleiher, Investoren, 1%Journalisten , und ein George Clooney. Der sitzt auf einem Sofa und l�chelt. Alle trinken ein Glas Champagner und l�cheln , tun als ob sie George Clooney auf dem Sofa nicht s�hen, reden �ber Gesch�fte oder �ber die dritte , mi�lungene Sch�nheitsoperation von Catherine Deneuve, nach einer halben Stunde werden alle wieder in wichtige Autos verladen und abtransportiert. Dann geht es zum Kampftrinken in die Bar Petite Majestice. F�nfhundert besoffne Menschen in geliehenen Smokings stehen auf der Strasse und trinken aus Plastikbechern Bier f�r 20 Franken. Die Bar wird gef�hrt von zwei Zwillingsbr�dern die aussehen wie Jean Claude van Damme nach einem langj�hrigen Gef�ngnisaufenthalt wegen Vergewaltigung. Ihre Nasen vibrieren von Kokain,sie sch�tten die Getr�nke in die Becher , als wollten sie mit jedem Schwall den Gast verpr�geln. Masochisten unter sich. Die Creme de la Creme unserer Zeit auf der Strasse, besoffen, verzweifelt , f�r einen Moment der Klarheit vielleicht durchschauend, was sie in ihrem Leben tun. Mein Leben ist es, denken sie vielleicht , den ganzen Tag ins Telephon zu br�llen, Zahlen zu br�llen, wichtig zu tun, wichtig zu reden und dabei wollte ich doch mal Filme machen , Filme die den Menschen Tr�ume geben und Hoffnung. Statt dessen mache ich Geld. Doch der Moment h�lt zum Gl�ck nicht lange, noch einen Schluck (4 Franken) warmes Bier darauf. Es wird morgen in Cannes. Vor dem Grand Hotel sitzt RegisseurAmos Kollek mit der entstellten Anna Thomsen. Es war keine Ironie , sie zu besetzen, sie ist seine Muse. Der meint das ernst. Das Sch�nheitsideal in Amerika ist das. Mager�chtig mit Plastikbrust und Lippen so gross wie Fusballstadien. Im Hotel hat die schweizer Verleiherin Christa Sarredi ein B�ro gemietet und k�mpft t�glich zehn Stunden darum, die Filme die ihr wichtig sind der Welt zu schenken. Als eine der ersten glaubte sie an einen Jarmusch, Haneke oder Kaurissm�ki. Der Wunsch an Tr�umen festzuhalten kostet Nerven. Da bleibt keine Zeit Stars zu beobachten, auf Partys zu stehen, das ist Arbeit.Das ist Cannes neben der Croisette, Cannes, das die Touristen nicht interessiert. �hnlich hart engagiert sich Ruth Waldburger , die schweizer Produzentin, die den Er�ffnungsfilm von Godart produzieerte. Wohltuend leise, die Schweizer, zwischen all dem Gebr�ll auf der Strasse. Wohltuend fein, das Festival in Locarno , von Schweizern als provinziell beschimpft. Wenn es provinziell ist Menschn nicht zu verachten , mag das stimmen. Dann ist Cannes nicht provinziell , ist die Welt, und die ist am sich aufl�sen, am voll werden, billig werden , laut br�llen , zwischen all der Ware , das man �berhaupt noch etwas h�rt. Seit das Kino ein Massenbetrieb geworden ist, hat es nicht feines mehr , nicht Ruhiges scheint Patz zu finden, doch was kann man dagegen tun? Nicht kann man tun, einen Schluck Milchkaffee vor dem Grand Hotel trinken und dann schauen , wo die Legenden wohnen. Das Hotel du Roc in Cape des Antipes liegt sehr erlesen. Auf einem Felsen, unten das Meer, die W�nde altrosa. Hier fliegt der Hubschrauber Gene Hackmann hin, und George Clooney und Jean Claude van Damme kommt mit dem Schnellbot, weil er ist ja Action Star. Das Hotel ist �berf�llt wie alles, wie die Stadt , das Meer, die Welt , �berf�llt mit Produzenten und deren Frauen , alle 17 j�hrig , alle sehen aus , wie die gespritzte Muse Anna Thomsen, die Frauen liegen am Pool und lassen das Silikon br�unen, die M�nner telephonieren, hier ist auch nichts los. Zur�ck nach Cannes, auf der Strasse einen alten Salat f�r 200 Franken essen, dannach in ein lautes Hotel, um zwischen Pappschildern ein wenig zu schlafen. Zehn Tage Cannes sind wie zwei Menschenleben. Soviel zu sehen, nichts gescheites, George Clooney ist abgereist, die Strassen sind voller Menschen und Terroreinheiten der Polizei, an kleinen St�nden k�nnen die Assistentinnen der polnischen Videofiormen sich selbst auf Foto kaufen, wie sie �ber den roten Teppich gelaufen sind, das kleben sie dann zu Hause in Polen in Fotoalben, die werden auf den M�ll geworfen, nach ihrem Ableben. Da waren sie nun ber�hmt f�r ein paar Sekunden , aber keiner will es wissen. Zehn Tage lang ist Cannes das Universum, der Mittelpunkt der Welt . Alle hoffen auf grosse Gesch�fte, auf grosse Begegnungen, berauschende Partys auf etwas , das ihr Leben aus den Angeln hebt , doch die Tage in Cannes sind, wie der Mittelpunkt der Erde eben ist . Der sich ge�ndert hat und verfault, nur noch ab und zu einen Lavablase spuckt , aber keiner sieht es, keiner merkt es, weil alle besch�ftigt sind . Mit sich und den Telephonen und den Tr�umen , von denen keiner mehr weiss, wie sei eigentlich aussehen solle |
|
| Letztes Update: 05.08.00 |
| ©2000 Berg
Werk / Sibylle Berg Internet-Consulting by SIC |